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  • AutorenbildMiriam

Coaching für Musiker*innen - weniger Perfektionismus wagen!

Ich mag Worte. Sie können klein und unscheinbar daherkommen, und dann machen sie plötzlich die dollsten Sachen.

Heute geht es um ein kleines Wörtchen, das in seiner Wirk-Macht sehr zu Unrecht unterschätzt wird. Es kann nämlich sowohl als auch. Es kann sowohl zum Heldinnentum ermuntern, als auch zur Kleinmut verdammen. Es kommt nur wie so oft im Leben auf die Gesellschaft an, mit der Du es umgibst.

Das Zauberwort, das ich meine, heißt „noch“, und ich möchte seine Wirkung an zwei märchenhaften Beispielen erklären.



Stellst Du es in Verbindung mit den zwei anderen unscheinbaren Worten „nicht genug“, ergibt sich eine geradezu toxische Wirkung. Dazu folgende


Hexen-Geschichte


Du bist, sagen wir mal, Musiker*in mit Leib und Seele. Seit Kindheit übst Du mit Hingabe und Liebe Dein Instrument, eiferst Deinen Vorbildern nach, gehst zum Unterricht, übst, verbesserst Dich, gehst wieder zum Unterricht, übst weiter, bügelst Fehler für Fehler aus. Du spielst oder singst zu 95% perfekt, alle bewundern Dich, doch leider hast Du Dich unterwegs irgendwo von einer bösen Hexe anquatschen lassen, nennen wir sie „Perfexionista“, die Dir ein vergiftetes Stück Obst mit Namen „Selbstzweifel“ untergejubelt hat.

„Was du kannst, ist okay, aber es reicht noch nicht ganz!“ , flüstert sie dazu verschwörerisch. „Das kannst du sicher noch besser.“ Die Frucht schmeckt bitter-süß, aber tatsächlich schaffst Du im Laufe dieses Jahres eine Verbesserung auf 96%. Eine Gelegenheit zum Vorspielen oder Vorsingen kommt.

„Du solltest Dich in diesem Zustand noch nicht präsentieren.“, flüstert Perfexionista, der Du inzwischen mehr vertraust als allen anderen. Sie tut nämlich so, als würde sie sich ernsthaft um Dich sorgen. Du lehnst also das Vorspiel ab, übst stattdessen weiter, und kommst nach zwei weiteren Jahren auf nun 97%.

Wieder flattert eine Einladung ins Haus, diesmal zu einem Konzert, aber Du musst das leider, leider ablehnen. „So geht das noch nicht!“, findet die Hexe. Und Du kaust und schluckst brav das Obst, von dem sie behauptet, es sei gut für Dich. „Unter 99% solltest du dich nicht zeigen.“ Nach weiteren 3 Jahren bist Du bei 98%. Du arbeitest und arbeitest, um endlich an Dein Ziel heranzukommen und wirklich raus in die Welt zu ziehen.

Du brauchst 10 Jahre, um Dich auf 98,95% hochzuhieven und weitere 15, um bei 98,998% anzukommen. Dann, endlich, knackst Du die 99% Marke! Die Hexe war schon länger nicht mehr persönlich da, aber ihr Gift des „noch nicht genug“ ist längst tief in Deinen Körper eingesickert.

Inzwischen bist Du schon ganz schön alt geworden. Auftrittserfahrung fehlt Dir blöderweise auch. Das solltest Du durch Extraleistung ausgleichen, findest Du. Du brauchst also unbedingt 100%. Mit dem Kampf um das letzte Prozent beschäftigst Du Dich weiter bis zur Rente.


Puh, jetzt muss aber was Positives her, deshalb schnell die

Heldinnen-Story


Aschenputtel? Kennst Du. Zu Beginn der Geschichte hockt sie (noch) in der Küche und pult Hülsenfrüchte aus der Asche, während ihre blöden Schwestern losziehen, um sich den Prinzen zu angeln. Es sieht (noch) nicht gut aus für sie.

Dann aber kommen die Tauben mit dem Glitzerfummel angeflattert und gurren: „Putti, mach‘ hinne! Du bist zwar im Augenblick noch scheußlich anzusehen und dreckig, aber das wäschst Du schnell ab. Los, rein ins Kleid und ab zum Ball!“ Und Aschenputtel denkt: „Okay, wenn die sagen, ich kann’s noch schaffen, dann mach‘ ich einfach flott Katzenwäsche. Im Kerzenlicht sieht man den Dreck ja nicht.“

Sie macht sich also wegen dieses aufmunternden Gegurres auf den Weg (man beachte, welch‘ positive Wirkung hierbei das Zauber-Wörtchen „noch“ hatte!!!). Weil ihr aber die Stiefmutter im Nacken sitzt, verlässt sie um Mitternacht fluchtartig die Szene. Trotz des nicht ganz perfekten Abgangs ist sie so auf den Geschmack gekommen, dass sie am nächsten Abend gleich wieder Heldin spielen will.

(Wiederholung der Handlung von „Die Tauben kommen“... bis „fluchtartig die Szene“.

Noch eine Wiederholung, diesmal von „Die Tauben kommen“, aber nur bis „fluchtartig“.)

Kommen wir zwischendurch mal zum Prinzen. Er ist eher der Typ „sieht gut aus“, aber er ist unverbrüchlicher Optimist, und die geben so schnell nicht auf. Er hat keine doofe Stiefmutter zu Hause rumhängen, sondern von klein auf gelernt, dass die Welt auf ihn wartet, ob das nun zu 100% berechtigt ist oder nur zu 80. Und ein Kerl wie er lässt sich auch gar nicht erst von Leuten wie Perfexionista anquatschen. Gedanken wie „Ich bin noch nicht toll genug für diese umwerfende Frau.“ kennt der gar nicht. Und das ist ja auch gut so.

Denn damit ihm die Heldin der Geschichte nicht wieder aus der leidenschaftlichen Umarmung flutscht, muss er jetzt veranlassen, dass das Teer auf die Marmortreppe kommt (wer macht die ganze Schweinerei eigentlich hinterher wieder weg???).

Aschenputtel flitzt die klebrige Treppe runter, der Schuh bleibt hängen, sie rennt weiter. Noch (!) ist das Happyend nicht erreicht... es fehlen die abgehackten Körperteile. Bringen wir’s hinter uns. Zack 1, zack 2, dazwischen „ruckedikuh“ und „ruckedikuh“.

Und dann (dramatische Musik!) überschreitet das auf außergewöhnlich kleinen Füßen durchs Leben gehende Aschenputtel grazil und mutig die Schwelle des NOCHs und steht endlich mittendrin im Leben oder auf der Bühne – da wo sie hingehört.

Moral


Das „Noch“ ist ein Meister der Verstellung, es hat mindestens zwei Gesichter und ist wendig wie ein flackerndes Irrlicht.

Es kann Dir wie ein Klotz am Bein hängen und Dich vom Leben und der Erfüllung Deiner Träume abhalten, wenn Du es in Verbindung stellst mit den Wörtern „nicht... genug“. Es gibt immer NOCH etwas zu verbessern. Die Kunst ist, sich trotzdem dem Leben zu stellen. Das Noch-nicht-Perfekte zu umarmen, es zu päppeln, an die Hand zu nehmen und es in die Welt zu bringen. Nicht leichtsinnig, aber mutig. Wer wagt, gewinnt. Oder: „Wer versucht, kann scheitern, wer nichts versucht, ist schon gescheitert.“, um es etwas drastischer zu formulieren.

Wenn Du ein „Noch“ aber geschickt einsetzt, kann es der Türöffner zu Deiner wunderbaren Zukunft sein: Bei Sätzen wie „xy kann ich nicht.“ wirkt es Wunder. Denn es eröffnet Möglichkeiten als „xy kann ich NOCH nicht. Aber es kann morgen klappen. Das probiere ich aus.“

Also: Wenn Du bisher noch der Typ „Ich bin noch nicht gut genug.“ bist, treib das Ganze auf die Spitze: „Du bist HEUTE noch „noch nicht genug“.“ Aber morgen hast Du die Chance, das zu ändern.

Du hast den Mechanismus jetzt verstanden. Lass Dich von diesem Kobold-Wort nicht weiter um Dein Leben bringen. Zweifel haben alle. Trau‘ Dich, denn dann hast Du eine Chance! Und das willst Du doch, oder?!

Vielleicht hast Du auch irgendwo so ein paar Tauben, die Dir sagen „Mach hinne!“ Dann hör‘ auf sie und nicht auf Perfexionista. Wenn Du keine Tauben hast, dann sag Perfexionista, sie soll die Klappe halten. Du hast sie längst durchschaut, es gibt sie ja nur in Deinem Kopf! Erste Erfolge werden sich nach und nach zeigen, wenn Du nach ihnen suchst und nicht nach den Promille, die Dir zur Perfektion NOCH fehlen. Selbst ein Auf-die-Nase-Fallen kann ein Erfolg sein. Der Erfolg, etwas gewagt zu haben.


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