Die un- beliebtesten Gesangsübungen Teil 1 Singen mit Spiegel
- miriam7143
- vor 38 Minuten
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Singen üben mit Spiegel ist die wohl unbeliebteste Gesangsübung meiner Gesangsschüler:innen. Aber eben auch: Sehr effektiv!
Wann immer ich mich auf den Weg mache zur Stimmbildung bei "meinen" Chören, zu Workshops oder Stimmtrainings - ein Spiegel ist auf jeden Fall dabei.
Ja, streng genommen ist "Singen mit Spiegel" natürlich keine Gesangsübung im engeren Sinne, ich weiß. Der Spiegel ist eher eine Art Werkzeug, das benutzt wird, um das eigentliche Üben hin zum gewünschten Klang zu unterstützen.
Beim Singen sieht man sich selbst und sein Instrument nicht. Das könnte ein Vorteil sein, denn man sieht selten gut dabei aus. Es macht aber auch vieles komplizierter. https://www.stimm-erfolg.de/post/stimmtraining-klangzauberei-mit-einem-unsichtbaren-instrument

Wenn man normalerweise in den Spiegel schaut, versucht man natürlich, optisch möglichst vorteilhaft zu erscheinen. Aber beim Singen ist es eben oft so: Je schwieriger es wird, desto verzerrter werden die Gesichter.
Verspannungen entdecken
Wir versuchen hoch konzentriert, bestimmte - insbesondere hohe - Töne zu erreichen und Klänge zu erzeugen. Dafür werden Stirnen längs und quer gefaltet, Lippen vorgestülpt oder breitgezogen, Zungen zusammengeknüllt und fast hinuntergeschluckt. Der Zweck heiligt sozusagen die Mimik.
Oft entstehen dabei Verspannungen, die uns (spätestens bei der nächsten Phrase) im Wege stehen. Und besser klingen tun wir meistens trotzdem nicht. https://www.stimm-erfolg.de/post/gut-gemeint-ist-nicht-gut-gemacht-zunge-und-kiefer-als-ersatz-stuetze
Diesem Schauspiel (und dann auch noch des eigenen Gesichts!) in den Spiegel blickend beizuwohnen, ist definitiv nichts für ästhetisch Feinsinnige.
Traut sich jemand trotzdem, passiert häufig folgendes:
Den Blick auf den Spiegel gerichtet wird tapfer losgesungen. Zunächst sieht alles gut und entspannt aus, aber dann, wenn sich die entscheidende technische Hürde nähert, bei der die Zunge den Klang zerquetscht oder die Mundwinkel die Stimme aus ihrem Sitz hauen, wird, ZACK, weggesehen!
Die schwer zu bewältigende Stelle überfordert offenbar unser gesamtes System. Verrückt! Also, auch das Üben mit Spiegel will geübt sein.
Gesichtsbewegungen sind viel kleiner als gedacht
Natürlich müssen sich die Mundform und -Öffnung, die Kieferöffnung und auch die Zungenstellung je nach Vokal, nach Lage (hohe / tiefe Töne) und auch abhängig von der Lautstärke verändern und anpassen. Allerdings sind die benötigten Veränderungen in der Regel viel kleiner als gedacht.
Im klassischen Gesang geht es ja oft um den sog. Vokalausgleich https://www.stimm-erfolg.de/post/vokalausgleich-warum-ist-magermilchjoghurt-gut-fuer-den-darm-aber-nicht-fuers-singen. Alle Vokale sollen zwar unterscheidbar sein aber dabei doch von sehr ähnlicher Qualität. Darum muss auch unsere innere Einstellung in Mund, Hals, Rachen und Gesicht weitgehend stabil bleiben.
Man stelle sich mal vor, auf einer sich verformenden Trompete oder einem einknickenden Kontrabass solle ein gleichbleibend angenehmer und tragfähiger Klang erzeugt werden. Stelle ich mir schwierig vor.
Wie soll es nun also aussehen, das singende Gesicht im Spiegel?
Ich sag` mal so: Mit "doof gucken" kommst du schon ziemlich weit.
Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum freien Singen (du ahnst es inzwischen) ist eine mehr oder weniger entspannte Gesichts-, Zungen- und Halsmuskulatur. Und die bekommst du beim Doof-Gucken.
Das Tückische ist, dass du obenrum zwar dümmlich entspannt aussehen sollst, gleichzeitig aber körperlich voll auf Zack und in Spannung bleiben musst.
Singen mit Pokerface
Versuch doch deshalb mal, mit einem "Pokerface" die verschiedenen Vokale zu singen. Du formst die verschiedenen Klänge so, dass von außen fast nichts zu sehen ist.
Ausgehend vom "a" kannst du dich den übrigen Vokalen annähern.
Vom "a" übers "o" zum "u" sind die Lippen etwas aktiver und runden sich.
Vom "a" übers "e" zum "i" bewegt sich eher die Zunge.
In angenehmer Mittellage gilt
lass den Unterkiefer entspannt hängen: zwischen Ober- und Unterkiefer ist Platz für ca. einen Legostein, egal bei welchem Vokal.
die Zungenspitze hat bei allen Vokalen Kontakt zu den unteren Schneidezähnen
Die für dich individuell geeignetste Mundform ist so aus der Ferne schwer zu beschreiben. Es gibt für alles ein Zuviel und auch ein Zuwenig. Also zu viel oder zu wenig "Schnute" oder "Breite", Zunge zu tief oder zu hoch, Kiefer zu weit geöffnet oder zu wenig. Das hängt davon ab, wie dein augenblicklicher Klang sich anhört. Wenn du da allein mit dem Spiegel nicht weiterkommst, frag´ jemanden, der oder die sich damit auskennt, z.B. stimmerfolg@miriam-meyer.de
Vor einem Ganzkörperspiegel üben
Wenn du sogar einen Ganzkörperspiegel zur Verfügung hast, achte u.a. darauf, dass
du nicht die Schultern hochziehst beim Atmen oder Singen
die Schultern nicht nach vorne hängen
dein Brustbein beim Ein- und Ausatmen angehoben bleibt
du nicht den Kopf nach vorne schiebst
du nicht den Bauch einziehst
Enden möchte ich mit einem Zitat von Mark Twain:
"Wenn eine Frau (oder ein Mann...) in den Spiegel schaut, ist es vielleicht nicht Eitelkeit, sondern Tapferkeit."
In Bezug aufs Singen trifft das auf jeden Fall zu!
Wichtig wie immer: Hab Geduld mit dir, beurteile dich mit Wohlwollen. https://www.stimm-erfolg.de/post/gesangsunterricht-intim-wie-der-kauf-eines-badeanzugs Alles, was du an Verspannungen im Spiegel siehst, machst du ja ursprünglich, um deinen Klang zu verbessern. Du singst wahrscheinlich auch schon länger auf diese Art und Weise, die ja irgendwie für dich funktioniert. Also wird es auch eine Weile dauern, bis du es dir wieder abtrainiert hast.
Wenn du ein bisschen Hilfe brauchst, melde dich gerne.