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Gesangsunterricht: Intim wie der Kauf eines Badeanzugs

Autorenbild: MiriamMiriam

Der erste Gesangsunterricht ist immer etwas Besonderes. Das gilt auch für die erste Stunde mit einem / einer neue*n Gesangslehrer*in. Es ist eine sehr sensible Situation. Ich persönlich finde sogar den Begriff „intim“ passend. Öffentlich singen ist ein bisschen wie sich nackig machen.

Apropos nackig:

In diesen Tagen lässt mich die Frühlingssonne vom Sommer träumen. Sommer und Freibad. Ich liebe es, morgens dort meine Bahnen zu schwimmen.

Leider brauche ich vorher einen neuen Badeanzug, was kürzlich zu folgender Situation in der Umkleidekabine eines Kaufhauses führte:


Gesangsunterricht benötigt Wertschätzung und Vertrauen
Gesangsunterricht: Intim wie der Kauf eines Badeanzugs

Im Spiegel blicke ich auf meine winterbleichen Speckröllchen und alle weiteren körperlichen Unzulänglichkeiten eines mittelalten Körpers. Das Neonlicht macht die Sache nicht besser. Weggucken geht nicht, denn schließlich muss ich wissen, ob der Badeanzug sitzt und das Gesamtbild möglichst vorteilhaft erscheinen lässt.

Ich tröste mich damit, dass dieser Körper zwei Kinder geboren hat und im großen und ganzen einwandfrei funktioniert. Er ermöglicht mir ein Leben, für das ich allen Grund habe, dankbar zu sein.

Ich stelle mir das Schwimmbad vor, das herrliche Gefühl im Wasser und das der wohligen Erschöpfung nach dem Schwimmen. Ich denke an den Spaß, den ich dabei immer habe. Und dann denke ich vor allem daran, dass es darum geht, dass ich in meinem Leben die Dinge mache, die ich machen möchte und meine Speckfalten und mein der Schwerkraft folgendes Bindegewebe nur mich etwas angehen, dass sie ganz natürlich sind und die allermeisten von uns irgendwann treffen, und dass das Schwimmen und mein Glück im Wasser dabei helfen, es mir sogar noch besser gehen zu lassen.

Überhaupt: Wer hat sich das eigentlich ausgedacht: Neonlicht in Umkleidekabinen?!


An dieser Stelle ziehe ich mich wieder an und beschließe, mir online einen Badeanzug zu bestellen, den ich im warmen Licht meines Badezimmer-Spiegels anprobieren werde. Parallel dazu kann ich ein paar Pommes in den Backofen schieben, dann ist die Freibad-Atmosphäre auch viel authentischer.


Gesangsunterricht ist aufregend

Und hier kommt die Wende zurück zum Gesangsunterricht:

Ich habe es ganz zu Beginn schon geschrieben: Der erste Gesangsunterricht ist ein ganz besonderer, intimer Moment. Ich glaube, noch nie habe ich es erlebt, dass jemand NICHT aufgeregt war. Die eigene Stimme und ganz besonders das eigene Singen sind etwas unglaublich Persönliches, und neuen Gesangsschüler*innen geht dabei alles Mögliche durch den Kopf.

Obwohl sie alle ja freiwillig kommen und hoch motiviert sind, gibt es jede Menge Selbstzweifel, Scham, und Hemmungen. Es ist unglaublich viel Beurteilung und Selbstkritik im Spiel.

Wir alle sind überall und ständig von gesungener Musik umgeben. Das was wir dabei hören, ist aber das Ergebnis modernster Aufnahmetechnik und jahrelanger Arbeit von Profis.

Als Anfänger*in oder fortgeschrittener Laie (und tatsächlich auch noch als Profi) klingt man nicht so. Sich mit diesen Aufnahmen zu vergleichen, ist in etwa so, als würde ich mich beim Blick im Umkleidekabinenspiegel mit dem Bild des Bademoden-Modells aus dem Katalog vergleichen. Und diese junge Dame hat ganz sicher nicht im Neonlicht posiert.


Singen ist ein Angriff auf unsere gute Erziehung

Außerdem ist Singen eine Zumutung für unsere gute Erziehung.

Jahrelang wurde uns antrainiert, nicht zu laut oder extrovertiert zu sein, nicht zu sehr zu gestikulieren, nicht zu übertreiben, uns nicht zu sehr unseren Gefühlen hinzugeben, uns nicht in den Mittelpunkt zu stellen.

Fürs Singen Lernen ist aber all das hin und wieder notwendig.

Öffentlich singen ist in etwa so, wie als Einziger in Badehose zu einer gepflegten Abendeinladung zu erscheinen. Man fällt einfach auf.

Und Gesangsunterricht ist vergleichbar damit, neues Schwimmzeug anzuprobieren und dabei jemanden vom Verkaufspersonal mit in die Kabine zu nehmen. Da muss man den neuen Badeanzug schon sehr wollen.

Dabei, das beides auszuhalten, hilft eine gesunde Menge „scheißegal“-Haltung, und sich zeitweise über die Regeln der guten Erziehung hinweg zu setzen.

Singen (und auch öffentlich sprechen) bedeutet, die Grenzen dessen, was und wie wir uns trauen, uns öffentlich zu äußern, peu à peu auszuweiten.


Gesangsunterricht braucht eine vertrauensvolle Atmosphäre

Für mich als Gesangslehrerin bedeutet das zu allererst, dass ich vor all meinen Schüler*innen großen Respekt habe. Denn „sie leben ihre Träume“. Das klingt sehr groß, aber im Grunde ist es genau so. Sie sind mutig, sie zeigen und trauen sich.

Ein empathischer Blick, bzw. ein liebevolles Ohr des Gesangslehrers sind elementar. Schüler*in und Lehrer*in brauchen Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen. Es ist wichtig, Vertrauen aufzubauen: In sich selbst, in die eigene Stimme, in das eigene Gefühl und natürlich zwischen den beteiligten Personen.

Gesangsunterricht ist ein Wohlfühl-Ort. Alles neonlichtartig Bloßstellende hat hier nichts zu suchen. Jeder abschätzige Blick, jede verletzende Bemerkung oder Bewertung ist zu unterlassen.

Ich unterstütze meine Gesangsschüler*innen in ihrem Wunsch zu singen. Darum suche ich nach Wegen, die das Singen für sie leicht machen. Es soll sich frei und gut anfühlen und wird dadurch letzten Endes auch immer freier und schöner klingen.


Sich trauen, laut zu singen: Was hilft?

Und was hilft jemandem, der oder die eigentlich schon immer mal Gesangsunterricht ausprobieren wollte, sich aber bisher nicht getraut hat? Oder jemandem, der oder die Scheu hat, alleine zu singen? Ich werfe nochmal einen Blick zurück in die Umkleidekabine:

Es hilft,

- sich klarzumachen, dass die eigene Stimme okay so ist, wie sie ist.

- sich weniger in Selbstkritik zu üben und dafür mehr im Spaß haben.

- laut Musik anzustellen und mitzusingen.

- alle Vergleiche mit anderen zu unterlassen.

- immer wieder auszuprobieren, mit Lust und laut zu singen, auch wenn es vielleicht „schräg“ klingt.

- sich ein vertrauensvolles Gesangs-Umfeld zu suchen, das ermutigt und anspornt


Wenn Du das im Kaufhaus bei Dir um die Ecke nicht findest, kannst Du aufbauenden Gesangsunterricht mit Spaß und Geling-Garantie übrigens auch online bestellen und ihn zuhause im warmen Licht Deines Badezimmers ausprobieren ;-) Eine Adresse für (online-)Gesangsunterricht findest Du hier.

542 Ansichten2 Kommentare

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2 Kommentare


irinapipo1
31. März 2022

Einen sehr guten Beitrag und auch Visualisierung als Bsp mit dem Badeanzug. Psycho - ist der 1 Voraussetzung fürs Beruf ( nach meiner Meinung) wenns festgestellt wurde dass die Stimme, Gabe und Fleiß da sind.

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stimmerfolg
31. März 2022
Antwort an

Danke für diesen Kommentar. Ja, man braucht gute Nerven. Auch das „Training der Psyche“ gehört mit in den Unterricht.

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