Hoch hinaus - wer will das nicht? Das gilt gerade auch beim Singen. Kürzlich erreichte mich eine Frage, wie man den Sopranstimmen eines Chores das Singen in der Höhe erleichtern könne (ich freue mich übrigens immer darüber, wenn ich weiterhelfen kann - also nur zu, immer her mit Euren Fragen ;-)). Ich fasse hier einige Punkte meiner Antwort zusammen, da das Thema viele interessiert.
Vorweg jedoch dies:
Als ich schon längst Gesang studierte, verfolgte mich lange Zeit noch ein Gefühl großer Peinlichkeit, wenn ich Spitzentöne gestützt, also mit voller Lautstärke produzierte. Das klang so "opernmäßig", fiel viel zu sehr auf - am Ende könnte noch jemand denken, ich sei dem Größenwahn verfallen und mir einbilden, ich könne tatsächlich (Opern)sängerin werden... oder überhaupt nur in Erwägung ziehen, Talent fürs Singen zu haben. Solche inneren Hemmschuhe haben auf die eine oder andere Art sicher ganz viele. Wer sich traut, laut zu singen (und noch dazu hoch), macht sich gefühlt irgendwie "nackig". Dazu gehört eine gehörige Portion Selbstbewusstsein! Wenn Du dennoch dabei bist, Deine Höhe zu trainieren: herzlichen Glückwunsch und mutig voran! Sollte Dein Erfolg stagnieren, dann erinnere Dich ruhig an diese einleitenden Worte. Gesang ist so eng mit Gefühl und Psyche verbunden, dass man sich schnell mal innerlich ein Bein stellt, ohne es zu merken. Ich werde bei Gelegenheit noch gesondert darauf eingehen, wie Du Dir da heraushelfen kannst.
Jetzt zu den technischen Hinweisen, mit denen ich im Unterricht bei Frauenstimmen gute Erfahrungen gemacht habe:
1. Ohne Körpereinsatz und "Gymnastik" geht es am Anfang fast nie.
Bilder und Übungen, die ich gerne verwende, um das Singen in die Höhe zu unterstützen, sind z.B.
Einen Poller in die Erde senken unter Einsatz der Rumpfmuskulatur, während z.B. ein Quintlauf nach oben (und wieder zurück) gesungen wird. Dabei die Spannung aufrecht erhalten bis die Linie wieder unten angekommen ist.
Das Becken kippen (Gegenteil vom Hohlkreuz): leicht in die Knie gehen, den Rücken nach unten verlängern. Es gibt ein Spiel, bei dem befestigt man einen Stift an einem Band am unteren Steiß und muss versuchen, ihn in eine darunter stehende Flasche von oben einzulassen ohne Hände. Das ist auch eine hilfreiche Vorstellung.
Das Bild Deines persönlichen Känguruh-Schwanzes, auf den Du Dich sich setzt. Du kannst das noch weiterspinnen, indem Du Dir vorstellst, diesen laaaangen Schwanz mit beiden Händen unter Dir hindurch nach vorne und oben zu heben. Auch das trägt dazu bei, Deine Stützmuskulatur zu aktivieren.
Im Sitzen: Aufrecht sitzen, die Sitzbeinhöcker spüren und beim Ausatmen/Singen die Fersen (hüftbreit aufgestellt) in den Boden drücken. Das aktiviert den Beckenboden und die untere Bauchmuskulatur und gibt einen guten Anhaltspunkt, von wo im unteren Bauchraum die Stütze geführt werden kann.
Unterstütze Phrasen durch Bögen, die Du mit dem Arm in die Luft zeichnest. Die Bewegung muss mit Körperspannung ausgeführt werden. Stell Dir vor, es handelt sich um rhythmische Sportgymnastik oder Tai Chi. (Es ist wie mit einem Händedruck: ist er labbrig und schlaff wie ein toter Fisch, bewirkt er das Gegenteil dessen, wofür er gedacht war...😉).
Bei Sprüngen nach oben: Stell Dir vor, Du wirfst Pfeile, exakt gezielt und kraftvoll. Oder dass Du ein Schwert ziehst wie zum Fechtduell. Übertreib diese Aktionen körperlich. Es geht wirklich darum, Muskulatur zu trainieren.
Genauso wichtig ist das Entspannen vor der Einatmung. Lass die Bauchdecke bis hinunter zum Schambein locker, damit Du anschließend wieder gezielt und geführt von dort Spannung aufbauen kannst.
Spannung ist von Verspannung und Festwerden abzugrenzen! Es geht um eine positive, energievolle Haltung, vergleichbar der Vorfreude auf eine Urlaubsreise, die gleich losgeht. Oder so, als würdest Du einen guten Freund oder Deine beste Freundin beim Zieleinlauf zum Marathon anfeuern.
2. Ein anderer wichtiger Aspekt beim Erarbeiten der Höhe ist der Sitz der Stimme.
Voraussetzung dafür ist, dass die Sache mit dem Körpereinsatz einigermaßen stabil funktioniert! Sonst wird die Stimme leicht eng und Du singst mit zu viel Druck. Das klingt nicht schön und ermüdet. Liegt der Fokus dagegen zu sehr auf Offenheit und Weite im Hals, kann das mit zu wenig Glanz für die Stimme einhergehen. Deshalb hier auch einige Tipps zum Thema Stimmsitz:
Um den hohen Sitz zu initiieren, kannst Du Dir vorstellen, an einem Ort zu stehen, an dem der Klang so richtig schön hallt, z.B. unter einer Bahnunterführung, und „huhu“ zu rufen. Am besten winkst Du noch gleichzeitig mit erhobenem Arm. Wir haben das als Kinder gerne gemacht :-) Du kannst auch den Ruf eines Uhus oder Käuzchens nachahmen. Dieser Sitz ist das "Zuhause" für die hohen Töne. Steuere diesen Bereich an, nimm den Text nicht so wichtig, übe erstmal mit dem Vokal, der am mühelosesten funktioniert. Danach kannst Du die anderen Vokale an diesen Klang anpassen und in diesen Raum hinein formen.
Öffne den Mund nicht zu weit, wenn Du nach oben singst. Probier doch mal aus, mit einem Stift quer im Mund zu singen, um den Raum hinter dem Gaumensegel zu erspüren.
Verwende das „Gähn-Gefühl“ nur SEHR sparsam!!! Häufig rutscht dadurch die Zunge in den Hals, wenn der Körper noch nicht gut koordiniert ist. Besser geeignet finde ich die Vorstellung von "schnuppern", "schnarchen" beim Einatmen. Das schafft Raum im Hals nach oben hinter dem Gaumensegel, ohne dass die Zunge auf den Kehlkopf drückt.
Für Phrasen, die insgesamt höher liegen gilt: Bleib auch bei tieferen Zwischentönen im hohen Stimm-Sitz. Es kann helfen, diese tieferen Töne einfach leiser zu singen.
Also: Ohne Energie und Turnen geht es meiner Meinung nach nicht. Und: Erst muss die Mittellage funktionieren, dann kommt die Arbeit an der Höhe. Deshalb finde ich es wichtig, auch das Repertoire entsprechend auszusuchen. Wenn Du im Chor singst und Deine Partie (noch!!!) teilweise unangenehm hoch für Dich liegt, dann oktaviere hohe Stellen zum Üben nach unten, bis die Töne sicher sitzen. Sollte Dir das zu tief sein, dann üb wenigstens eine Quarte/Quinte tiefer. Wenn Du Deine Stimme sicher beherrschst, dann kannst Du beginnen, sie in Originallage zu singen. Trainiere Deine Höhe lieber kurz in der richtigen Spannung und Konzentration als lang und mit zu großer Anstrengung. Regelmäßig ein bisschen Höhentraining ist viel ergiebiger als seltene Übeexzesse.
Soviel für heute.
Diese Hinweise sind natürlich nicht vollständig, für manche Sänger*innen mag tatsächlich auch das genaue Gegenteil gelten. Stimmen sind unterschiedlich, Körper sind unterschiedlich, Energiezustände sind unterschiedlich, die Herangehensweisen individuell anzupassen. Schreib mir gerne Deine Ergänzungen oder Fragen - und natürlich können wir uns auch zum Unterricht oder Coaching verabreden. Online oder in echt. Ich freue mich über Dein Feedback - und natürlich besonders, wenn ich Dir weiterhelfen konnte.
Viel StimmErfolg!
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