Ich bin kürzlich gefragt worden, ob ich an einer Schule in einem „Markt der Berufe“ für 10.-Klässler:innen den Beruf der Opernsängerin (bzw. Stimmtrainerin oder Gesangslehrerin) vorstellen könnte. Diese Einladung habe ich gerne angenommen, denn die allermeisten Menschen haben sehr viele Vorstellungen über Opernsänger, die mit der Realität sehr wenig zu tun haben
Ich selber wusste vor meinem Gesangs-Studium GAR nichts über den Beruf. Ich hatte auch niemanden, den ich danach hätte fragen können. In unserer Kleinstadt gab es kein Opernhaus, und bis ich begann Gesang zu studieren, hatte ich überhaupt nur zwei Opern gesehen: Don Giovanni und Carmen. Dass ich trotzdem Opernsängerin wurde und es singend bis nach Hongkong und Peking schaffte, lag also nicht unbedingt auf der Hand.
Was dachte ich als 17-Jährige?
Als ich mich gedanklich nochmal in die Zeit zurückbegeben habe, in der ich 16 oder 17 Jahre alt war und überlegte, was ich werden wollte, tauchte in meinem Kopf sofort die damals für mich entscheidende Frage wieder auf.
Was war besser: Meinem Herzen zu folgen oder meinem Kopf?
Sollte ich Musik oder „etwas Nützliches“, „Vernünftiges“ studieren - in meinem Fall Medizin?
„Nützlich“ hieß für mich „jemandem anders nützlich sein“. Als Ärztin hilft man anderen Menschen, und damals sah ich mich schon als Entwicklungshelferin oder als Frauenärztin in einer Beratungspraxis.
Ich liebe es, selber Musik zu machen.
An dieser Stelle höre ich förmlich den Aufschrei meiner Kolleg:innen: „Aber Musik ist doch auch nützlich!“. „Kunst und Kultur sind lebenswichtig!“
Ja, schon – aber wenn ich ehrlich bin, ist der Grund, warum ich Musik studieren oder Sängerin werden wollte in erster Linie, dass es mir Spaß macht, selber zu musizieren. Und nicht etwa, weil ich denke, dass die Welt diese von mir gemachte Musik braucht oder sie irgendjemandem nützt.
Singen gehörte immer selbstverständlich zu mir. Es ist für mich eine wunderbare Möglichkeit, mit meinen Gefühlen in Kontakt zu kommen und sie auszudrücken. Ich tue das nicht für andere, ich tue das für mich. Dass mein Gesang für andere eine Bereicherung sein sollte, der Gedanke erschien mir sehr lange sehr vermessen oder geradezu abwegig.
Ich meine das nicht abwertend im Sinne von „Musik ist überflüssiger Schnickschnack“ oder nur die „Verzierung auf der Torte des Lebens“. Ihre Bedeutung für jemanden ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Dass so viele Menschen regelmäßig mit großer Freude Konzerte und Opernaufführungen besuchen oder im Alltag nahezu ununterbrochen Musik hören, zeigt ja, wie wichtig ihnen das Hören oder das damit verbundene Lebensgefühl ist.
Nur: Mir geht und ging es beim Musikmachen um mich, nicht um andere, und das erschien mir zu wenig, um mein zukünftiges Leben darauf zu gründen.
Meine Entscheidung
So begann ich, Medizin zu studieren. Und das machte mir auch großen Spaß. Ich fand es spannend und hatte nette Kommiliton:innen.
Trotzdem ging es mir nach einigen Monaten nicht gut. Das hatte sicher verschiedene Ursachen, aber eine war eben auch, dass vor diesem Studium der größte Teil meiner Freizeit mit Musikmachen gefüllt war. Und jetzt kam sie überhaupt nicht mehr in meinem Leben vor.
Komisch, oder? Alle anderen, „die Menschheit“, der ich nützlich sein wollte, hatte ich bei meiner Berufswahl bedacht – aber ich selber war mit meinen Bedürfnissen dabei zu kurz gekommen.
Ich kürze an dieser Stelle ab. Jedenfalls machte ich die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule und begann Gesang zu studieren. Zusätzlich zum Medizinstudium, denn darauf wollte ich nicht verzichten.
Endlich Opernsängerin...
Das ging so eine Weile lang, dann hatte ich das Gefühl, ich müsse mich auf ein Thema konzentrieren, und in dieser Situation schlug das Pendel in Richtung Musik.
Um mich wenigstens etwas breiter aufzustellen und „krisensicherer“ zu werden, habe ich zusätzlich zu meinem künstlerischen Gesangsstudium einen pädagogischen Abschluss gemacht, um auch Gesang unterrichten zu können. Aber ich wurde dann tatsächlich Opernsängerin, erst in Hildesheim und danach sieben Jahre lang an der Komischen Oper Berlin.
... und doch nicht glücklich
Als ich nach dieser Zeit dort kündigte, war ich wieder voller Zweifel an diesem „Gesinge“. Ich hatte den Opernbetrieb mit seiner modernen Form der Leibeigenschaft intensiv kennengelernt und kam mir vor wie in einer schlechten Ehe: Ich arbeitete mit Leidenschaft und Herzblut an der Beziehung, ordnete ihr mein Leben unter – und war den Launen von häufig schlecht erzogenen, manipulativen und menschlich minderbemittelten Regisseuren und Leitungspersonen ausgeliefert.
Wir erinnern uns: Mit der Entscheidung für die Musik war ich „meinem Herzen“ gefolgt. Jetzt hatte ich das Gefühl, einem Irrlicht nachgelaufen zu sein.
Aber dann!
Durch mein eigenes Musikmachen hatte ich aber so viele wunderbare Momente und Erlebnisse gehabt, dass ich nun lernen wollte, anderen Menschen zu helfen, sich durch Musizieren selber glücklich zu machen. Mit Mitte 30 begann ich ein Schulmusik-Studium, an das ich noch verschiedene Coaching-Ausbildungen anschloss.
Im Laufe der Zeit und in vielen Gesprächen mit Menschen aus anderen Branchen wurde mir immer bewusster, dass mein Beruf mir alle möglichen Fähigkeiten und Erfahrungen vermittelt hat, die in anderen Bereichen zu kurz kommen und von den dort Arbeitenden schmerzlich vermisst werden. Vielleicht gerade, weil es dort so vermeintlich „vernünftig“ zugeht.
Angefangen bei einem bewussten und gekonnten Umgang mit Stimme und Sprache, die ich im Stimmtraining vermittle, geht das über entspanntes und sicheres Auftreten bis hin zur Wahrnehmung und Beschäftigung mit den eigenen Emotionen und denen anderer - Themen, um die es im Coaching geht.
All das kann ich inzwischen vermitteln und bin auch so eine Art „Entwicklungshelferin“ geworden. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zur Eingangsfrage.
Solltest Du oder eine Dir nahestehende Person also gerade vor der Entscheidung stehen, welchen Beruf Du wählen solltest, wäre meine Antwort aus der Mitte meines Berufslebens heraus, dem Herzen zu folgen (schon aus Selbstschutz, siehe oben...), aber offen dafür zu bleiben, bei Bedarf nachzujustieren. Es ist heute ohnehin nicht mehr davon auszugehen, dass man bis zur Rente immer denselben Beruf ausübt.
Etwas lockerer formuliert:
„Sei glücklich, damit provozierst Du sie alle am meisten.“
Du bist Dir nicht sicher, ob Du Musik studieren solltest?
Lass uns drüber reden. Gemeinsam finden wir heraus, wie es für Dich weitergehen könnte.
Haderst Du mit Deinem Leben als Musiker:in oder steckst in einer Krise? Glaub mir, auf dem Gebiet bin ich Profi ;-) Ich weiß aber auch, wie Du aus diesem Zustand wieder herauskommst!
Meld Dich gerne per Mail unter stimmerfolg@miriam-meyer.de
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