Vor einiger Zeit aß ich mit meinem Sohn in einem winzigen Restaurant zu Mittag. Am Nachbartisch, nur zwanzig cm weiter, saß ein Paar und führte ein Beziehungsgespräch.
Zuzuhören kann ja mitunter sehr spannend sein, aber in diesem Fall mussten wir mit anhören, wie „Er“ „Sie“ verbal in die Ecke trieb, zu intimen Details bezüglich früherer Partner zwang und daraufhin abwertende Dinge zu ihr sagte. Er wurde nicht laut, schrie sie nicht an, aber trotzdem zog sich in mir alles zusammen. Mein achtjähriger Sohn (der das Gespräch offenbar ähnlich bedrückend empfand) und ich aßen schweigend, schauten betreten auf unsere Teller und verließen so schnell wie möglich das Restaurant.
Wie kann man nur so mit jemandem reden?!
Abwertende Gedanken
In vielen Coaching-Gesprächen mit meinen Klient*innen kommen wir früher oder später an den Punkt, zu überlegen, was sie in bestimmten Situationen innerlich zu sich selbst sagen oder über sich denken. Und ich stelle fest, dass sie mit sich selbst ähnlich grausam umgehen, wie „Er“ in der geschilderten Situation.
Gerade wenn es um Auftrittsängste geht, haben die meisten von ihnen abwertende Gedanken über sich selbst.
„Du singst so scheiße.“
„Du bist zu nichts zu gebrauchen.“
„Warum haben die nicht xy gefragt, die könnte das viel besser.“
„Das hier ist eine Nummer zu groß für dich.“
„Die finden mich (ich bin) sowieso nicht gut genug.“
Im Gegensatz zu der Situation im Restaurant hört niemand außer den Klient*innen selbst diese Sätze oder den Tonfall, in dem sie gesagt werden. Aber natürlich entfalten sie eine Wirkung – und sicher keine positive.
Stell Dir vor, Du hast eine quietschgelbe, duftende Zitrone in der Hand. Du schneidest ein saftiges Stück heraus und beißt kräftig hinein.
Na, fließt die Spucke schon im Mund?!
Allein die Vorstellung hat eine physiologische Reaktion in Deinem Körper ausgelöst. Dabei war sie überhaupt nicht emotional. Wie viel stärker wirken dann wohl die oben genannten Gedanken auf Dich und Deine Verfassung, wenn Du gerade auf dem Weg auf die Bühne bist?!
Stell Dir außerdem mal vor, eine gute Freundin / ein guter Freund stünde kurz vor dem Auftritt und jemand würde ununterbrochen auf sie / ihn einreden: „Du singst so sch...!“, „Du bist nicht gut genug.“
Wärest Du in der Nähe, würdest Du Dich doch sicher einmischen und den Jemand freundlich aber bestimmt darauf hinweisen, dass er/sie gefälligst still sein soll. Zumindest würdest Du Deine Freundin / Deinen Freund schnellstmöglich aus dieser unangenehmen Situation entfernen, oder?
Wirkungsvolle Mittel
Und da sind wir auch schon bei einem sehr wirkungsvollen Mittel, unbeschwerter und mit mehr Freude und Selbstvertrauen auf die Bühne zu gehen: Sei Dir selber diese*r Freund*in!
Bring die inneren Stimmen zum Schweigen. Halt ein imaginäres Stoppschild hoch, denk stattdessen etwas Aufbauendes, Liebevolles. „Du schaffst das.“, „Die Probe lief super.“, „Du hast so viel geübt, das läuft.“
Verändere den Klang der Stimmen. Lass Mickey Mouse sprechen. Dreh sie ganz leise, leg ein Rauschen darüber oder eine Verzerrung. Lass sie klingen wie eine zu langsam drehende Schallplatte – was fällt Dir noch ein?
Wo bekommst Du aufbauende Sätze her?
Du kannst sie Dir ganz einfach während Deiner Vorbereitung überlegen, aufschreiben und auswendig lernen. Sie werden umso glaubwürdiger für Dich, je öfter Du sie schon vorher zu Dir sagst – gerne auch laut.
Beginne am besten noch heute, ein (Übe-)Tagebuch oder eine Erfolgsliste zu führen. Dort trägst Du täglich 3-10 Dinge ein, die Dir richtig gut gelungen sind. Wenn Dir nichts einfällt, dann überleg, was ein guter Freund für Dich notieren würde.
Übe-Routinen ändern
Wir Musiker*innen üben uns wund mit technischen und stilistischen Spitzfindigkeiten. Wir singen die höchsten Töne im dreifachen Pianissimo – weil wir es können! – und machen uns Gedanken darüber, wie genau „die zweite Hälfte von Takt 158“ klingen soll.
Weil wir es geübt und uns jahrelang damit beschäftigt haben, wie es technisch funktioniert.
Wir schaffen es, Beethoven-Sonaten liebevoll, verträumt, kämpferisch, siegesgewiss oder wie auch immer klingen zu lassen. Entsprechend zu singen sowieso!
Weil wir wissen, dass wir Emotionen innerlich erzeugen, heraufbeschwören und klanglich nach außen transportieren können.
Mit den Klängen in unserem Kopf, die wir für eine positive mentale Einstellung benötigen, beschäftigen wir uns dagegen immer erst, wenn es zu spät ist und wir raus auf die Bühne gehen.
Und dann krähen sie los, verunsichern uns und rauben uns die Energie und Konzentration, die wir bräuchten, um unser Bestes zu geben.
Dabei versetzt unser mentaler Zustand uns überhaupt erst in die Lage, all das, was wir so intensiv geübt haben, am Ende auch öffentlich zu präsentieren.
Innere Dialoge kontrollieren
Wenn Du unter Auftrittsängsten leidest, solltest Du diesen anderen Aspekt mit trainieren und die Fähigkeiten lernen, Dich in einen ressourcenreichen Zustand zu versetzen. Die Arbeit an diesen inneren Klängen und Stimmen (bzw. die Kontrolle über sie) ist elementar für den Erfolg!
Wichtig: Das ist nichts, was über Nacht funktioniert. Deine Gedanken zu kontrollieren benötigt genauso Übung wie jede andere Fähigkeit, die Du neu erlernst. Du kannst aber jederzeit damit anfangen:
Zunächst musst Du Dir klar darüber werden, welche Stimmen und Sätze da überhaupt sind. Dann kannst Du beginnen, sie wie oben beschrieben klanglich zu verändern. Wie Du sie inhaltlich veränderst, habe ich an anderer Stelle beschrieben – besonders wirkungsvoll gelingt das mit Wingwave-Coaching. (Video zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=8_qM6HeTssQ)
Und dann: Üben, üben, üben! Und geduldig mit Dir sein. Bestimmt wirst du bald die ersten kleinen Veränderungen bemerken.
Meld Dich gerne bei mir, wenn Du Fragen hast oder Dir Unterstützung wünschst. Ich freue mich, wenn ich Dir helfen kann.
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