Ein weiteres Lieblings-Weihnachtslied
„Tochter Zion“ steht auch auf meiner Lieblingsliedliste zu Weihnachten - pardon, im Advent! (Nach meinem letzten Artikel zu „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ wurde ich darauf hingewiesen, dass ich besser unterscheiden sollte zwischen Weihnachts- und Adventsliedern...)
Naja, „Tochter Zion“ ist ziemlich eindeutig adventlich, denn es geht im Text ausdrücklich um die Ankunft Jesu in Jerusalem, und Advent kommt bekanntlich vom lateinischen Wort „adventus“, Ankunft.
Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir! Ja, er kommt, der Friedensfürst. Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem!
Hosianna, Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk! Gründe nun dein ew’ges Reich. Hosianna in der Höh’. Hosianna, Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk!
Hosianna, Davids Sohn, sei gegrüßet, König mild! Ewig steht dein Friedensthron, du, des ew’gen Vaters Kind. Hosianna, Davids Sohn, sei gegrüßet, König mild!
Nun freu dich doch endlich!
Glaubt man der Werbung und dem vorweihnachtlichen Fernsehprogramm, so sind die meisten Menschen ganz wild auf diese Zeit und lieben die vielen mehr oder weniger süßen (und süßlichen) Lieder und Bräuche, die dazu gehören.
Für andere ist diese Zeit eine Zumutung. Glücklichsein und Harmonie auf Knopfdruck, Kommerz und Kekse nonstop.
Wenn ich aus dieser Perspektive den Text von „Tochter Zion“ lese, wird mir mulmig: Jetzt freu dich endlich! Bald ist Weihnachten! Na los, juble! Nun jauchze doch endlich!
Wie das bei denen ankommt, die mit Beatmungsschlauch im Hals auf einer Intensivstation ums Überleben kämpfen – oder denen, die ihnen dabei helfen – kann ich nicht abschließend beurteilen, aber ich stelle es mir schwierig vor.
Und die Bilder müssen gar nicht so dramatisch sein. Wer unfreiwillig einsam zu Hause sitzt, und sich schon freut, wenn der Paketbote klingelt, um etwas für den Nachbarn abzugeben, dem oder der ist (Vorweihnachtszeit hin oder her) vielleicht auch nicht nach singen und jubeln.
Wenn die Stimme im Hals stecken bleibt
Und das führt mich endlich zum ersten Thema: Manchmal geht das einfach nicht mit dem Singen. Die Stimme bleibt uns im Halse stecken. Und das ist dann eben so. Wir sind ja keine Maschinen. Nicht mal als Profis.
Zum Singen brauchen wir einen freien Atem, und da unser Atem eng mit unseren Emotionen verknüpft ist, können wir beides nicht voneinander trennen. Okay, es gibt unterschiedliche Typen. Manche trennen ja auch Liebe und Sex. Es geht schon, aber wir sollten uns nicht unter Druck setzen. Weinend singen, das ist kaum möglich.
Wir können den Spieß aber auch umdrehen: Wir können den Einfluss unserer Emotionen auf unsere Atmung und unsere Körperspannung als Hilfsmittel nutzen. Das passiert im Gesangsunterricht ständig. Denn: Wir arbeiten mit einem „unsichtbaren Instrument“, und viele stimmliche Einstellungen lassen sich über Emotionen am allerbesten ansteuern.
Die richtige Gesangs-Einstellung
Eins meiner am häufigsten verwendeten Bilder ist das eines „ungläubigen Staunens“ beim Einatmen. Der Kiefer fällt vor Verwunderung nach unten, Augen, Rachen und Brustkorb sind geweitet. Die perfekte Gesangs-Einstellung!
Auch hilfreich: Vor Freude so aufgeregt sein, dass man (wenn man einen hätte...), mit dem Schwanz wackeln würde wie ein Hund. Oder die euphorische Freude darüber, wenn die angefeuerte Mannschaft endlich den entscheidenden Elfmeter geschossen hat.
Beides bringt uns in eine Körperspannung und einen Energiezustand, ohne die beim Singen eigentlich gar nichts geht.
Andersrum: Der Begriff Angst stammt vom indogermanischen „anghu“ (beengend) bzw. althochdeutschen „angust“ ab – das sagt stimmtechnisch doch eigentlich schon alles, oder? Enger Hals, enge Brust, enger Geist: Nichts davon ist hilfreich für die Stimme...
Das ist jetzt bitte nicht zu verwechseln damit, dass wir zum Singen ununterbrochen in Jubelstimmung sein müssen. Aber „so tun als ob“ hilft eben, das Singen zu vereinfachen bzw. es zu ermöglichen.
Und natürlich kann dann das Singen auch wieder positiv auf unsere Stimmung wirken – falls wir uns darauf einlassen können und möchten.
Für die, die in der richtigen Stimmung sind und doch dieses wunderschöne Lied (dessen Melodie übrigens ursprünglich von G. F. Händel stammt!) vielleicht nicht gerade jubeln, aber wenigstens singen möchten, für die kommen nun wieder einige Tipps, die dabei helfen:
1. „E“- oder „i“-Vokale singen
In allen drei Strophen gibt es viele „e“- oder „i“-Vokale.
Wenn Du einmal abwechselnd „a“, „e“ und „i“ sprichst und dabei Deine Zunge beobachtest, wirst Du feststellen, dass beim „a“ viel mehr Platz in der Mundhöhle ist als bei den beiden anderen Vokalen. Beim Sprechen ist das nicht so entscheidend, aber für das Singen ist es wichtig, dass eine gewisse Weite (egal bei welchem Vokal) immer erhalten bleibt.
Um ein „i“ mit mehr Weite zu erhalten, kannst Du beim Üben mal alle „i“s durch „ü“s ersetzen. Das verändert sowohl die Zungenposition als auch die Lippenform. Die sollte nämlich nicht zu sehr in die Breite gehen. Versuch anschließend, Deine „i“s mit dieser „ü“-Einstellung zu singen.
Beim „e“ ist es je nach Wort hilfreich, eher ein „ä“ zu denken bzw. es auch dezent zu singen. Beim „ä“ ist nämlich der Kiefer deutlich weiter geöffnet. Das funktioniert z.B. bei der zweiten Silbe von „Toch-TER“ oder bei „freu-E“, gleich zu Beginn des Liedes.
In der zweiten Strophe gibt es das „ew’ge Reich“. Da passt natürlich kein „ä“. Diese Stelle kannst Du erstmal mit „aw’ges“ ausprobieren. Beobachte, wie weit Dein Kiefer dabei geöffnet ist. Und dann versuch, auch das „e“ mit dieser Kieferstellung zu singen.
Es kommt Dir sicher ungewohnt vor – ebenso wie das „ü“-„i“. Wenn Du neugierig bist, wie es klingt, kannst Du Dich mit Deinem Handy aufnehmen und ein bisschen probieren, wieviel Öffnung den schönsten Klang ergibt.
2. Singen von kleinen Läufen
In dem Lied gibt es diese Mini-Koloraturen, jeweils vier zusammenhängende Achtel-Noten, wie z. B. bei „freue“ und „jauchze“.
Auch wenn es auf Weihnachten zugeht, sollten wir ein Santa Claus-mäßiges „fro-ho-ho-ho-hoi-e“ vermeiden. Soll heißen: Bitte keine „h“s einbauen und auf ein lockeres Legato hinarbeiten.
Ja, aber wie denn?!
Ich hatte eingangs den emotionalen Zugang zum Singen beschrieben. Das kannst Du hier ausprobieren: Wenn Du (mit Stimme) seufzt oder jaulst oder versuchst, eine Sirene nachzumachen, dann vollziehst Du ein ganz natürliches Legato. Versuch, auf dieses Seufzen oder Seufz-Gefühl Deine Töne zu singen.
Du kannst es auch zuerst mit der Stelle „ko-o-ommt zu dir“ oder dem letzten „Je-ru-u-u-salem“ in der ersten Strophe üben. Da musst Du keine Achtel singen, sondern nur Viertelnoten. Langsam übt es sich leichter.
3. Sprünge abwärts singen
Es ging in früheren Artikeln schon mehrfach um das Erreichen hoher Töne bzw. Sprünge nach oben. Das wiederhole ich jetzt nicht alles. In „Tochter Zion“ gibt es mehrfach Abwärtsbewegungen, und zwar sowohl stufenweise (Ton für Ton) als auch in größeren Intervallen.
„Hoch“ und „tief“ sind eigentlich irreführende Begriffe beim Singen. Töne werden zwar weiter oben oder unten im Notensystem geschrieben, aber doch alle von demselben Kehlkopf erzeugt. Und der sollte im klassischen Gesang keine großen Bewegungen nach unten oder oben vollführen. Die Tonhöhe variiert durch Längenveränderung der Stimmmuskeln im Kehlkopf.
Hilfreicher für Stimmsitz und Klang ist es, wenn Du Dir die Töne hintereinander vorstellst, also so, wie Begrenzungsstreifen am Straßenrand hintereinander erscheinen, wenn wir daran entlang fahren. Sie liegen alle auf einer Ebene.
So, das war meine kleine Weihnachtslied-Serie. Hier nochmal die Links zu den ersten beiden Liedern:
Ich hoffe, die Tipps haben Dir weitergeholfen. Wenn nicht, dann meld Dich gerne kurz per Mail mit Deiner Frage. Ich antworte Dir ganz sicher.
Gesangsunterricht oder Stimmtraining kannst Du auch verschenken (oder Dir schenken lassen!). Unter "Geschenkpaket" findest Du ein besonderes Angebot, das ich mir zusammen mit meiner Freundin, der Goldschmiedin Gese Schüler aus Lübeck, ausgedacht habe.
Alles Gute für Dich!
Miriam
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